Gebot der losweisen Vergabe – Schutz des Mittelstandes

Das Vergaberecht schreibt dem öffentlichen Auftraggeber nicht nur vor, dass er einen zu vergebenden Auftrag in einem strukturierten Vergabeverfahren auszuschreiben hat. Das Vergaberecht greift vielmehr noch weiter in die Entscheidungshoheit des öffentlichen Auftraggebers ein und diktiert ihm darüber hinaus in einem entscheidenden Punkt, wie er seine Ausschreibung zu gestalten hat.

Nach § 97 Abs. 3 S. 2 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) gilt nämlich folgendes:

Im Interesse des Schutzes des Mittelstandes schreibt das Gesetz demnach dem öffentlichen Auftraggeber vor, dass er seine Aufträge dem Grunde nach nicht in einem Gesamtpaket, sondern unterteilt in einzelne Fach- oder Teillose zu vergeben hat.

Hintergrund dieser gesetzlichen Vorschrift ist der erklärte Wille des Gesetzgebers, den Interessen des Mittelstandes in Deutschland gerecht zu werden und Auftragsart und vor allem Auftragsgröße im Einzelfall so übersichtlich zu halten, dass sich auch noch kleinere mittelständische Unternehmen um den Auftrag bewerben können.

Für den Bausektor bedeutet diese grundlegende gesetzgeberische Entscheidung:

  • Die Interessen des Mittelstandes werden im Vergleich zu den Interessen der Bauindustrie bevorzugt.
  • Pauschale Vergaben von „einem Stück schlüsselfertiger Leistung“ sind zu vermeiden.
  • Der öffentliche Auftraggeber von Bauleistungen hat das Entstehen von Schnittstellen bei der Vergabe, der Ausführung und der Gewährleistung im Interesse des Mittelstandsschutzes grundsätzlich hinzunehmen.

Der Grundsatz: Die losweise Vergabe

§ 97 Abs. 3 GWB geht von einem klaren Regel-/Ausnahmeverhältnis aus. Bauleistungen sind nach Losen unterteilt zu vergeben. Dabei hat der öffentliche Auftraggeber, wo immer möglich, sowohl so genannte Teil- als auch Fachlose zu bilden.

Der öffentliche Auftraggeber muss also dem Grunde nach einen Auftrag, soweit möglich, in mehrere abgrenzbare Teilabschnitte zerlegen und diese Teilabschnitte auch gesondert vergeben.

Neben dieser Bildung von Teilabschnitten wird vom öffentlichen Auftraggeber aber auch verlangt, dass er, soweit möglich, den ausgeschriebenen Auftrag in qualitativer Hinsicht zerlegt und eine Gesamtleistung aufgeteilt nach den verschiedenen Gewerken vergibt.

Grundsätzlich geht das Vergaberecht also beispielsweise bei der Neuerrichtung einer Schule davon aus, dass der öffentliche Auftraggeber mindestens folgende Gewerke als Fachlos (gegebenenfalls unterteilt als einzelne Teillose) zu vergeben hat:

Erdarbeiten, Landschaftsbauarbeiten, Maurerarbeiten, Beton- und Stahlbetonarbeiten, Zimmer- und Holzbauarbeiten, Stahlbauarbeiten, Abdichtungsarbeiten, Dachdeckungsarbeiten, Klempnerarbeiten, Putz- und Stuckarbeiten, Fliesen- und Plattenarbeiten, Estricharbeiten, Fenster, Parkett- und Holzpflasterarbeiten, Beschlagarbeiten, Rollladen- und Sonnenschutzarbeiten, Metallbauarbeiten, Maler- und Lackierarbeiten, Korrosionsschutzarbeiten, Bodenbelagsarbeiten, Tapezierarbeiten, Trockenbauarbeiten, Heizung, Gas-, Wasserinstallation, Abwasserinstallation, Blitzschutz- und Erdungsanlagen, Leuchten und Lampen, Sprechanlagen, Fernmeldeleitungsanlagen, Aufzüge, Parksysteme.

Es leuchtet ein, dass der öffentliche Auftraggeber in dem Beispielsfall alleine aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse daran hat, zumindest einige der vorbeschriebenen Gewerke aufgrund bestehender Leistungsnähe nicht einzeln auszuschreiben, sondern im Paket zu vergeben.

Ausnahmsweise: Gesamtvergabe

§ 97 Abs. 3 S. 3 GWB trägt diesem (durchaus nachvollziehbaren) Bedürfnis des öffentlichen Auftraggebers Rechnung und erlaubt ihm Ausnahmen von der grundsätzlich angeordneten losweisen Vergabe:

Die große Frage bei jeder Bauvergabe ist demnach, ob das benötigte Objekt durch eine losweise Vergabe einzelner Leistungen erbracht werden kann (in der Regel ja) und ob es wirtschaftliche oder technische Gründe gibt, die ausnahmsweise eine Zusammenfassung einzelner Lose zulassen.

Nachdem von der Beantwortung dieser Frage für mittelständische Unternehmen oftmals abhängt, ob es für sie überhaupt Sinn macht, sich an einer Ausschreibung zu beteiligen, ist es nicht verwunderlich, dass über die Frage des Vorliegens „wirtschaftlicher oder technischer Gründe“ die einer losweisen Vergabe entgegenstehen immer wieder und auch vor Gericht gestritten wird.

Eine Patentantwort, wann eine losweise Vergabe einzelner Leistungen zwingend bzw. wann eine Gesamtvergabe zulässig ist, hat bisher kein Gericht gefunden (und wird sie auch in Zukunft nicht finden). Zu unterschiedlich sind die Verhältnisse in jedem Einzelfall und zu verschieden sind auch die jeweils zu berücksichtigenden Interessen.

Zentrale Voraussetzung für ein zulässiges Abweichen von einer losweisen Vergabe wird aber wohl immer sein, dass der Auftraggeber hinreichend deutlich in der Vergabeakte dokumentiert, dass er eine losweise Vergabe geprüft und aus welchen Gründen er von einer losweisen Vergabe Abstand genommen hat.

Nachvollziehbare wirtschaftliche (z.B. Verteuerung des Vorhabens bei losweiser Vergabe) oder technische Belange (z.B. Vermeidung schlecht beherrschbarer Schnittstellen) rechtfertigen im Einzelfall das Abweichen von einer losweisen Vergabe.

Ein Rechtsanspruch eines mittelständischen Unternehmens auf eine losweise Vergabe besteht nicht. Der Mittelständler kann vom öffentlichen Auftraggeber allenfalls verlangen, dass von diesem auch die in § 97 Abs. 3 GWB kodifizierten Mittelstandsinteressen in ausreichendem Umfang berücksichtigt wurden.