Wann darf ein Vergabeverfahren begonnen werden?

Ein Auftraggeber soll erst dann ein Vergabeverfahren starten, wenn alle Vergabeunterlagen fertig gestellt und wenn sichergestellt ist, dass der Auftragnehmer innerhalb der in der Ausschreibung angegebenen Fristen mit seinen Arbeiten beginnen kann. Diese ebenso simplen wie selbstverständlich klingenden Grundsätze enthält beispielsweise § 2 Abs. 5 VOB/A für den Bereich von Bauleistungen.

Der Idealfall einer Ausschreibung beginnt also erst zu dem Zeitpunkt, zu dem der Auftraggeber detailliert weiß, was er will und seine Wünsche auch planerisch und textlich umgesetzt hat. Er hat eine aussagekräftige Leistungsbeschreibung erstellt und Pläne anfertigen lassen, auf deren Grundlage der Auftragnehmer zum einen weitgehend risikolos sein Angebot aufbauen kann und die ihn nach Zuschlagserteilung in die Lage versetzen, die bestellte Leistung zu erbringen.

Weitere Grundvoraussetzung für den Beginn einer Ausschreibung ist regelmäßig, dass die Finanzierung des Vorhabens gesichert ist und auch sämtliche Genehmigungen vorliegen, die für den Beginn der Arbeiten vorliegen müssen. Eine Ausschreibung, die beispielsweise gestartet wird ohne dass ein vollziehbarer Planfeststellungsbeschluss oder eine Baugenehmigung vorliegen würde, macht wenig Sinn.

Erst wenn die „Ausschreibungsreife“ für ein Vorhaben gegeben ist, alle Ausschreibungsunterlagen erstellt, Genehmigungen erteilt und auch die Finanzierung gesichert ist, soll ein Vergabeverfahren vom öffentlichen Auftraggeber begonnen werden.

Weiter enthalten sowohl VOB/A als auch VOL/A Vorschriften, die es dem Auftraggeber untersagen, Ausschreibungen mit dem einzigen Zweck zu starten, Preise am Markt abzufragen. Die VOB/A untersagt für den Baubereich ausdrücklich Ausschreibungen, die zum „Zweck der Markterkundung“ durchgeführt werden, § 2 Abs. 4 VOB/A. Die VOL/A erweitert dieses Verbot in § 2 Abs. 4 zusätzlich auf Ausschreibungen, die zum Zweck von „Ertragsberechnungen“ durchgeführt werden. Auftraggeber, die die Auskömmlichkeit eines zur Verfügung stehenden Budgets überprüfen wollen, sind also grundsätzlich auf ihre eigene Expertise angewiesen oder müssen sich gegebenenfalls Hilfe von Ingenieurbüros holen.

Rechtsfolgen von Verstößen gegen den Grundsatz der Ausschreibungsreife

In der Praxis sind Verstöße des öffentlichen Auftraggebers gegen die vorgenannten Grundsätze gar nicht so selten. Terminzwänge für die Ausführung der Leistungen haben schon so manchen Auftraggeber dazu veranlasst, eine Ausschreibung trotz nicht ausverhandelter Finanzierungsverträge oder noch nicht vorliegenden öffentlichrechtlichen Genehmigungen zu beginnen.

Für das Vergabeverfahren und auch die spätere Vertragsabwicklung hat dies eher nachteilige Auswirkungen.

Kommt der Vertrag zustande und kann beispielsweise der Bauunternehmer mangels Baurecht nicht mit den Arbeiten beginnen, so kann er zumindest eine Verlängerung der Ausführungsfristen nach § 6 Abs. 1 VOB/B und wohl regelmäßig auch Schadensersatzansprüche nach § 6 Abs. 6 VOB/B anmelden.

Flüchtet sich der Auftraggeber im Rahmen eines laufenden Ausschreibungsverfahrens in die Aufhebung der Verfahrens, weil er zum Beispiel inzwischen festgestellt hat, dass die Finanzierung für das Vorhaben endgültig gescheitert ist, dann stehen dem Auftraggeber Schadensersatzansprüche der beteiligten Bieter ins Haus, die gegebenenfalls auch den Ersatz des entgangenen Gewinns umfassen (BGH, Urteil vom 08.09.1998, X ZR 48/97).

Diese Rechtsfolge kann der öffentliche Auftraggeber auch nicht dadurch umgehen, indem er in seine Ausschreibung einen standardisierten Hinweis aufnimmt, wonach die Auftragsvergabe unter dem „Vorbehalt der Mittelbewilligung“ steht. Ein solcher Hinweis wurde von Gerichten bereits als unwirksame allgemeine Geschäftsbedingung gewertet und führte für den enttäuschten Bieter ebenfalls zu einem Schadensersatzanspruch.