Wo ist das Vergaberecht normiert?

„Das“ Vergaberecht gibt es im deutschen Recht nicht. Die Normen, die den Ablauf und die näheren Umstände eines Vergabeverfahrens bestimmen, sind vielmehr – reichlich zerklüftet – in verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und nicht zuletzt in so genannten Vergabeordnungen geregelt. Weiter sind auch immer die EU-Richtlinien zu berücksichtigen, die das EU-Vergaberecht regeln und deren Inhalt im deutschen Vergabeverfahren entweder unmittelbar oder zumindest zu Auslegungszwecken zur Anwendung kommt.

Welche Normen des Vergaberechts zur Anwendung kommen, entscheidet sich maßgeblich auch an der Frage, ob für das fragliche Vergabeverfahren die Schwellenwerte überschritten sind oder nicht. Für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte kommen grundsätzlich andere Normen zur Anwendung als für Vergabeverfahren, bei denen der Auftragswert den Schwellenwert nicht erreicht hat.

GWB - Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

In den §§ 97 ff. GWB sind allgemeine Grundsätze zum Vergabeverfahren und insbesondere Vorschriften enthalten, die das Nachprüfungs- und das Beschwerdeverfahren regeln. Die Vorschriften des GWB zum Vergaberecht gelten jedoch nach § 100 GWB nur für solche Aufträge, deren Wert den jeweils festgelegten Schwellenwert erreicht oder überschreitet. Für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte gelten die Paragrafen des GWB und insbesondere das dort geregelte bieterschützende Nachprüfungsverfahren nicht.

VgV – Vergabeverordnung

In § 127 GWB ist die Bundesregierung ermächtigt worden, mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zu erlassen, die weitere Regelungen zum Vergabeverfahren und insbesondere zur Frage der Umsetzung der vergaberechtlichen Schwellenwerte enthalten. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung mit dem Erlass der Vergabeverordnung (und der Sektorenverordnung) Gebrauch gemacht.

Die Vergabeverordnung trifft nach § 1 Abs. 1 nähere Bestimmungen über das Verfahren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, bei denen der Schwellenwert erreicht oder überschritten wird. Tatsächlich erschöpfen sich diese „Verfahrensbestimmungen“ aber auf einen Verweis in den §§ 4, 5 und 6 VgV auf die für Liefer-, freiberufliche Dienst-, oder Bauleistungen geltenden Vorschriften der VOL/A, VOF und VOB/A. Mit diesem Verweis endet die im deutschen Vergaberecht vorherrschende „Kaskade“ der vergaberechtlichen Normen, die mit dem GWB beginnt und über die VgV zu den Vergabeordnungen der VOL/A, der VOF und der VOB/A führt.

In der Vergabeverordnung werden in § 2 VgV die europarechtlichen Vorgaben zur Höhe der jeweiligen Schwellenwerte übernommen. Bei Änderung der Schwellenwerte wird die Verordnung in § 2 VgV angepasst.

SektVO – Sektorenverordnung

Die Sektorenverordnung regelt das Vergabeverfahren für bestimmte öffentliche Auftraggeber nach dem § 98 Nr. 1 bis 4 GWB und trifft nähere Bestimmungen über die Vergabe von Aufträgen, die im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs.

Die SektVO ist nur bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte anwendbar und gilt nicht für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge im Sinne des § 99 Abs. 7 GWB.

Gegenüber anderen Vergabeordnungen ist die SektVO deutlich abgespeckt. Selbst zentrale und in den anderen Vergabeordnungen (aus gutem Grund) detailliert geregelte Themen finden sich in der SektVO entweder gar nicht oder zum Teil abweichend oder nur sehr rudimentär geregelt.

Ob bei Auftauchen von Zweifelsfragen im Anwendungsbereich der SektVO auf Vorschriften der VOB/A oder der VOL/A zurückgegriffen werden darf, ist umstritten. Die Frage ist aber wohl zu bejahen, da auch die anderen Vergabeordnungen den Grundsätzen der Transparenz, der Chancengleichheit und des Wettbewerbes verpflichtet sind und ihre zumindest analoge Anwendung im Bereich der SektVO im Einzelfall vor diesem Hintergrund kaum zu untragbaren Ergebnissen führen dürfte.

VSVgV – Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit

Für Vergaben in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit ist zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2009/81/EG die VSVgV am 19.07.2012 in Kraft getreten und regelt die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträgen öffentlicher Auftraggeber.

Die VSVgV ist lediglich bei Vergaben oberhalb der so genannten Schwellenwerte anwendbar.

Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der Schwellenwerte werden ausschließlich nach den Regelungen der VSVgV vergeben. Bei Vergabe von sicherheits- oder verteidigungsrelevanten Bauaufträgen sind die Vorschriften der VSVgV nur teilweise anwendbar, § 2 Abs. 2 VSVgV. Daneben kommen bei Bauaufträgen die Vorschriften des 3. Abschnittes der VOB/A zur Anwendung.

VOL/A – Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A

Die VOL/A besteht aus zwei Teilen und enthält Vorschriften für die Vergabe sämtlicher Lieferungen und Leistungen mit Ausnahmen von freiberuflichen Dienstleistungen und Bauleistungen.

Der erste Abschnitt der VOL/A betrifft Vergabeverfahren unterhalb des Schwellenwertes und gilt, soweit seine Anwendbarkeit in Haushaltsgesetzen, Verwaltungsvorschriften oder auch in Förderbescheiden angeordnet ist.

Der zweite Abschnitt der VOL/A regelt ebenfalls die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen. Dieser zweite Abschnitt der VOL/A kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn der Schwellenwert aus § 2 VgV für Lieferleistungen erreicht oder überschritten ist.

VOF - Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen

In der VOF finden sich Regeln für die Vergabe von freiberuflichen Leistungen durch einen öffentlichen Auftraggeber. Die VOF kommt aber nur dann für freiberufliche Leistungen zur Anwendung, wenn die zur erbringende Leistung vom öffentlichen Auftraggeber nicht vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann, § 1 Abs. 1 VOF. Ist eine konkrete Beschreibung der gewünschten freiberuflichen Leistung möglich, gelten die Vorschriften der VOL/A.

Die VOF besteht nur aus einem Teil und kommt nur bei Vergaben oberhalb der Schwellenwerte zur Anwendung.

VOB/A – Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A

Die VOB/A besteht neuerdings aus drei Abschnitten und enthält Vorschriften für die Vergabe von Bauleistungen durch den öffentlichen Auftraggeber.

Der erste Abschnitt gilt für Vergaben unterhalb des Schwellenwertes, soweit seine Anwendbarkeit in Haushaltsgesetzen, Verwaltungsvorschriften oder auch in Förderbescheiden angeordnet ist. Der zweite Abschnitt der VOB/A ist für Vergaben anzuwenden, bei denen der Auftragswert den Schwellenwert erreicht oder übersteigt.

Zum 19.07.2012 ist ein neuer dritter Abschnitt der VOB/A in Kraft getreten. Dieses Vergabewerk war notwendig geworden, um bei Bauaufträgen die EU-Richtlinie „Verteidigung und Sicherheit“ in nationales Recht umzusetzen. Vergabeverfahren für Bauaufträge, die oberhalb des Schwellenwertes liegen und sich in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit abspielen, haben seither neben den Vorschriften der VSVgV den dritten Abschnitt der VOB/A zu beachten.